„Lernbrücken“-Konzept stößt in Mannheim auf Skepsis

„LERNBRÜCKEN“ AM 31. AUGUST STARTEN FREIWILLIGE FÖRDERANGEBOTE / HUMBOLDT-REKTOR HÄLT NICHTS VON SCHULÜBERGREIFENDEN GRUPPEN

Vorwiegend Deutsch und Mathematik, drei Zeitstunden am Vormittag, und das in den letzten beiden Wochen der Sommerferien: Am 31. August starten landesweit die „Lernbrücken“ – auf freiwilliger Basis. Mit ihnen, so Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), erreiche man „genau die Kinder und Jugendlichen, für die eine intensive Förderung besonders wichtig ist“. Anders ausgedrückt: die, die während der Corona-bedingten Schulschließungen nicht erreicht werden konnten.

„An sich ist die Idee gut“, sagt eine Mannheimer Lehrerin, die namentlich nicht genannt werden möchte: „Was Eisenmann fordert, hört sich super an.“ Aber in der Realität sehe das insbesondere bei Grundschulen ganz anders aus. In mehreren Fällen kommen dort Kinder aus vier Jahrgangsstufen und zwei verschiedenen Schulen in einer etwa 16-köpfigen Gruppe zusammen.

So gehen beispielsweise im Norden der Stadt Schüler aus der Friedrich-Ebert- in die Waldhofschule, im Süden sind Rheinau- und Gerhart-Hauptmann-Schüler in einer Gruppe, und aus Feudenheim fahren mehrere Kinder nach Friedrichsfeld. Deutlich mehr Eltern, so berichten es Lehrer, hätten Interesse an der „Lernbrücke“ gehabt. Aber die gemischten Gruppen und die fremde Schule hätten viele abgeschreckt.

Das bestätigt Miriam Aakerlund vom Staatlichen Schulamt im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“. Von den 24 Interessenten der Feudenheimer Brüder-Grimm-Schule etwa sei am Ende nur noch ungefähr ein Drittel übriggeblieben. Derzeit geht sie davon aus, dass etwa 600 Grundschüler an 19 „Lernbrücken“-Standorten in etwa 42 Gruppen unterrichtet werden. Eine Reihe von Standorten sei von vornherein nicht infrage gekommen, weil dort gerade Bau- oder Sanierungsmaßnahmen liefen.

Bei Lehrern „die Luft raus“

Anders als bei weiterführenden sei in Grundschulen nur ein „verschwindend geringer Teil“ des Lehrer-Stammpersonals bereit, bei den „Lernbrücken“ tätig zu werden. Aakerlund hat dafür volles Verständnis. Die Corona-Phase habe unglaubliche Belastungen gebracht. „Schulleiter und Lehrer gehen auf dem Zahnfleisch“, sagt sie, „die Luft ist bei vielen einfach raus.“

So kommen vermehrt Referendare oder „pädagogische Assistenten“ zum Einsatz, etwa Lehramtsstudierende mit Bachelor-Abschluss. Eine von ihnen ist Alicia Meier, die ihren richtigen Namen nicht in den Medien lesen möchte. Sie hat ab 31. August eine Gruppe mit Kindern aus vier Klassen und zwei verschiedenen Schulen. Während sie von den Lehrern der einen gut vorbereitet worden sei, fehlten ihr noch Informationen über die anderen Schüler. Das bereitet der 25-Jährigen Sorgen.

Die standardisierten Unterrichtspakete, die das Land im Internet zur Verfügung stellt, sind ihrer Ansicht nach wenig geeignet für eine individuelle Förderung. Das sehe auch ihre Schulleitung so. Deshalb freut sich Meier, zumindest teilweise „direkt von den Lehrern, die ihre Schüler kennen, Materialien bekommen“ zu haben. Ohne solche Hilfestellungen, glaubt sie, sei „eine intensive Förderung nur sehr schwer umzusetzen“.

Die eingangs erwähnte Lehrerin hält die Arbeit mit den gemischten Gruppen ebenfalls für schwierig. Für die Unterrichtskraft bedeute das, dass sie die meisten Kinder „nicht kennt und wenig über den jeweiligen Wissensstand weiß“. Und in aller Regel ist auch niemand vor Ort, den die Fachkräfte zurate ziehen könnten. Die eine Schule hat Alicia Meier zwar Ansprechpartner genannt, die andere jedoch nicht.

Unklar, ob alle kommen

Besser sieht es in den weiterführenden Schulen aus, in aller Regel bleiben die Jugendlichen der jeweiligen Einrichtung unter sich. Das gilt – mit Ausnahme der Tulla-Realschüler, die zu Marie-Curie gehen – für alle etwa 39 Gruppen an Werkreal-, Real- oder Gemeinschaftsschulen ebenso wie für die rund 58 „Lernbrücken“ an den Mannheimer Gymnasien und der IGMH. Allein dort, so Leiter Rainer Bade, sind rekordverdächtige 18 Gruppen gemeldet.

Dass die Humboldt-Werkrealschüler unter sich bleiben, darüber ist Leiter Harald Leber erleichtert. „Das Mischen von Schülern aus verschiedenen Schulen sehe ich sehr kritisch“, sagt er dem „MM“. 55 Jugendliche hätten sich angemeldet, nötig hätten es allerdings viel mehr, betont er – die Freiwilligkeit des Angebots sieht er skeptisch. Und rechnet zudem damit, dass einige der Interessenten gar nicht erscheinen.

Das vermutet Schulrätin Miriam Aakerlund ebenfalls. Eigentlich „wissen wir gar nicht, wer kommt“, manche überlegten es sich vielleicht kurz vor Beginn anders. Das glaubt auch Alicia Meier: „Ich gehe davon aus, dass einige in letzter Minute abspringen.“

BETEILIGUNG AN DEN „LERNBRÜCKEN“

Von den rund 1,1 Millionen Schülern in Baden-Württemberg werden landesweit etwa 61 500 in den letzten beiden Ferienwochen an den Förderkursen „Lernbrücken“ teilnehmen. Diese Zahl nennt das Kultusministerium von Baden-Württemberg.

In Mannheim haben sich in den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen etwas mehr als 2000 der knapp 26 000 Schüler angemeldet.

Zirka 42 Gruppen werden an 19 von 34 Grundschulstandorten gebildet, das Schulamt rechnet mit grob 600 Schülern, die sich beteiligen.

Weitere 39 Gruppen besuchen an 14 Werkreal-, Real- und Gemeinschaftsschulstandorten die „Lernbrücken“, das Staatliche Schulamt geht von etwa 500 Schülern aus.

58 Gruppen bilden sich außerdem an neun Gymnasien und der Integrierten Gesamtschule (IGMH), die mit gleich 18 „Lernbrücken“ den größten Anteil stellt. Die maximale Schülerzahl pro Gruppe ist 16.

Für das Öffnen, Schließen und die Reinigung der Räume an den insgesamt 48 Standorten ist die Stadt als Schulträger zuständig. Wie hoch der finanzielle Aufwand im Vergleich zu „normalen“ Ferienzeiten ist, lasse sich noch nicht belastbar sagen, so die Stadtverwaltung.

© Mannheimer Morgen, Freitag, 21.08.2020

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